24. Eggisrieder Seminar

Am 7. September 2025


24. Eggisrieder Seminar für Musik und Transzendenz

Schon im vergangenen Jahr, als ich nach dem Eggisrieder Sommerseminar heimfuhr, randvoll erfüllt von Musik und guten Begegnungen, stand für mich fest: 2025 natürlich wieder teilzunehmen als Hörende und Lernende, die neuen Weiten der Musik zu entdecken und zu vertiefen.

Das diesjährige Thema war vielversprechend:  „Musik aus dem Untergrund“. Werke der tatarischen Komponistin Sophia Gubaidulina (1931 – 2025) und ihrer Zeitgenossen standen auf dem Programm. Musik aus dem Untergrund – das klang nach Protest, nach Demonstration gegen gesellschaftliche und politische Verhältnisse, Ungerechtigkeit und Gewalt…

Das Seminar begann mit einem heiteren, vielfältigen Hauskonzert der teilnehmenden Studentinnen und Absolventinnen.

Hendrik Rekers (Tenor) wusste Heines Ironie und Schumanns Musik gekonnt zu vereinen, gefolgt von Brahms Klarinettensonate Es-Dur, gespielt von Elisa Zimpfer, die im weitern Verlauf des Konzerts auch durch ihr komödiantisches Talent begeisterte. Ihr Mitspieler, Tim Brucker, erschloss mir zum ersten Mal das Cajon als eigenständiges, wichtiges Instrument im Gesamtklang.

Daniel Reinhard, Antonia Schiefer und Linda Chen vervollständigten am Ende der Abendmusik das Ensemble, als sie a cappella zwei alte Volkslieder vortrugen, die sicher alle Zuhörenden im Herzen mitsangen.

Die jungen Leute wurden unterstützt und begleitet von ihrem Dozent Manfred Kratzer, der als Zugabe mit einem Stück „…nur für die linke Hand…“ brillierte. Ein wunderbarer Abend, eine wichtige Vorbereitung auf die Aufgaben des folgenden Samstags!

Hier stand der Vortrag von Prof. Nanny Drechsler über ein Werk Sophia Gubaidulina auf dem Programm. Gubaidulina komponierte das „Offertorium“ 1980 und führte uns Zuhörenden in die Zeit und Welt des totalitären Unsinns in der Sowjetunion, den sie erlebt, durchlebt und überlebt hat. Diese Musik spricht ohne Worte in einer Dimension, in der Chaos, Mystik, Gewalt, Schmerz, Protest und Hoffnung vereinigt sind. Es bedurfte viel Mutes und Kraft, sich diesem Klangwerk auszusetzen, es anzuhören, anzunehmen, im Wortlosen das Gesagte zu erkennen.

Darüber reden, gar diskutieren konnten wir zunächst nicht, so tief war unsere Betroffenheit…

Nicht einfacher war  „Orpheus behind the wire“, ein Stück für acht- bis zwölfstimmigen Chor von Hans Werner Henze (1985). Den Text dazu  schrieb Eduard Bond. Daniel Reinhard führte uns in dieses Werk ein, welches als Protest gegen einen weiteren totalitären Unsinn, diesmal in Südamerika,  geschrieben wurde. Hier wurde der Orpheus-Mythos in die Jetztzeit geholt.

In fünf Wortbildern wird die Geschichte von Orpheus und Eurydike in heutige „Höllen“ und Situationen verlegt. Die Hölle in ihrer Stille, in der kein Wort, kein Klang Macht haben. Isolation, Trennung, Verzweiflung greifen Raum. Gibt es ein Weiterleben nach diesem unerträglichen Dasein? Kann man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben…? Die Überlebenden finden sich in einer anderen, total veränderten Welt. Und sie leben weiter, denn irgendwann – irgendwann - ertönt die Musik von Orpheus, von Sieg, von Freiheit…

Wieder saßen wir Zuhörenden betroffen, verstummt und fast erstarrt da. Doch diesmal halfen uns die Worte in der Komposition zu eigenen Äußerungen. Wir konnten sogar dem sprachlos Gesagten in der Musik Gubaidulinas Worte geben, zu deutlich waren die Parallelen.

Der Inhalt beider Kompositionen – Protest gegen Gewalt, Unmenschlichkeit, Unterdrückung, Verachtung… - führte uns auch zu der Frage:

Welchen Sinn, welche Aufgabe, welche Macht hat Musik – sowohl als Kunst, als auch in der Verantwortung der Künstler – angesichts der politischen, gesellschaftlichen Situation? Wann wird sie missbraucht, wann ist sie im wahrsten Sinn Not-wendig?

Unsere Fragen und unsere Betroffenheit wurden am Samstagabend mit einem Dokumentarfilm über Sophia Gubaidulina und ihre Zeitgenossen z.B. den Komponisten Valentin Silvestrov vertieft.

Der Sonntagmorgen holte uns mit einer hellen Matinee aus diesem gedanklich durchlebten Tief. Bei den spontanen Beiträgen stießen Josef Bichlmair und Günter Schwanghart mit Zither und Klarinette zu den Musizierenden und lieferten eine großartige Jazz-Improvisation, nach der alle Künstler*innen mit lebhaftem Beifall und Dank überschüttet wurden!

Ein ebenso herzlicher Dank galt der Gastgeberin Ulrike Meyer, die unterstützt von Hongying und deren köstlicher, chinesischer Küche, eine absolute Wohlfühlumgebung für die Teilnehmer*innen gestaltete. Wir kommen gerne wieder!

Text:  Christine Silla - Kiefer

Stille Probengeniesserin Christine Silla-Kiefer
Stille Probengeniesserin Christine Silla-Kiefer