Der Tod und das Mädchen.
Am 7. Juni 2025

In gleich vier verschiedenen Fassungen bearbeitete Erich Schickling 1985 das Thema „Der Tod und das Mädchen“. Angeregt dazu wurde er von der Aufführung des gleichnamigen Streichquartetts von Franz Schubert in Ottobeuren. Um dieses berühmte Werk und seine Hintergründe ging es nun in einer Veranstaltung in der Schickling-Stiftung. Die fesselnde Aufführung durch das Malion-Quartett krönte einen Nachmittag, bei dem verschiedene Künste und Perspektiven erhellend ineinander flossen.
Den Auftakt bildeten zwei Lieder, mit denen sich Schubert an das Thema herantastete: „Der Wanderer“ op. 4 Nr. 1 und „Der Tod und das Mädchen“ op. 7 Nr. 3 wurden einfühlsam vorgetragen von Helena Donie (Mezzosopran) und Ulrike Meyer (Klavier).
Anschließend machte sich Andreas Kammenos Gedanken. In Eggisried schon als Blockflöten-Virtuose bekannt, erlebte man einen jungen Mann, der in der Lage ist, frei und und ohne Skript die Zuhörer auf eine weite, spannende Gedankenreise mitzunehmen. So beleuchtete und analysierte Kammenos das archetypische rhythmische Motiv lang-kurz-kurz, das Schubert leitmotivisch nicht nur in diesem Werk verwendet. Es ist das feierliche Schreiten der Pavane, eines vornehmen höfischen Tanzes. Dass der Tod nicht für Angst und Schrecken sorgt, sondern sich freundlich unter die durchs Leben schreitenden Menschen mischt, ist ein seit dem späten Mittelalter immer wiederkehrendes Motiv.
Auch wusste Kammenos, dass der Name der Pavane (laut Johann Gottfried Walther 1732) von „pavo“ stammt, dem spanischen Wort für Pfau. Damit war ein Bogen geschlagen ins Hier und Jetzt, zu den auf dem Gelände der Stiftung stolzierenden Pfauen, die immer wieder durch ihre Rufe auf sich aufmerksam machten – und manche Besucher sogar mit einem prächtigen Rad ihrer Schwanzfedern begrüßten.
Die Keimzelle, den Text „Der Tod und das Mädchen“ verfasste Matthias Claudius 1774. Zwei Strophen bilden eine Polarität zwischen dem ängstlichen Mädchen („Geh, wilder Knochenmann“) und dem beinah liebevollen Tod („Sollst sanft in meinem Armen schlafen“). Eine Polarität, die Schubert 1824 dankbar aufgriff. Im zweiten, langsamen Satz wird die tröstliche Melodie des bereits 1817 verfassten Liedes variiert. In den drei anderen Sätzen, vor allem im Schluss-Presto, lässt Schubert die Fratzen des Todes aufblitzen. Todesangst und -kampf, mit Tönen illustriert. Vermutlich verarbeitete der unheilbar kranke Schubert hier auch seine eigenen Schatten und Abgründe. Das Leben als Wanderung eines Unbehausten, Heimatlosen in den Tod, dieses Thema beschäftigte ihn zeitlebens und gipfelte schließlich in der „Winterreise“.

Vom Frankfurter Malion-Quarett hörte man eine meisterhafte Interpretation dieses komplexen Werkes. Alex Jussow (Violine, als Solist bereits bekannt in der Stiftung), Miki Nagahara (Violine), Lilya Tyrnchsyhyn (Viola) und Bettina Kessler (Cello) rissen das Publikum im vollen Haus zu Beifalls-Stürmen hin, die durch kostbare Zugaben belohnt wurden: zwei Fugen von Johann Sebastian Bach aus dem Wohltemperierten Klavier (Band II), bearbeitet von Wolfgang Amadeus Mozart. Nach der Dramatik und der kontrastreichen Spannung bei Schubert öffnete sich nun das Tor zur Ewigkeit. Hörte man ein bedächtiges Zirkulieren jenseits von Zeit und Raum. Diese Töne wollten nirgendwo hin, sie hatten es geschafft, ruhten ganz in sich.
Markus Noichl Memminger Zeitung vom 05.06.2025
Fotos der Veranstaltung von Winfried Schwarz:




